Montag, 16. März 2015

1) Von Kelten und Orchideen

In diesem Post versuche ich einen raschen Überblick darüber zu geben, wie leiwand es eigentlich ist

  • erstens ein sogenanntes Orchideenstudium zu inskribieren, das 
  • zweitens abgeschafft wird und 
  • drittens im Gespräch mit Anderen nur Unverständnis hervorruft.


Eine genauere Auseinandersetzung mit den angeschnittenen Themen folgt...

Keltologie. Ja, das ist das mit den Kelten, nicht das mit Kälte und Wärme. Hat auch nix mit Weinkelterei zu tun, sondern vielmehr mit Sprach-, Literatur-, Kulturwissenschaft und Archäologie. Man lernt Sprachen, von denen man nicht wusste, dass es sie gibt oder gegeben hat. In Ländern, von denen man glaubte, sie seien einfach nur "Bundesländer" von Großbritannien und Frankreich. Man lernt, was hallstadtzeitliche Salzbergwerke mit Schweizer Seen und britannischen Mooren zu tun - oder nicht zu tun haben.
Man lernt aber NICHT, wie man in 7 Tagen zum Druiden wird, oder wie man herausfindet ob man keltische Vorfahren hat.
Gallier sind übrigens auch Kelten, also weiß jeder, der Asterix gelesen hat mehr darüber, als er glaubt - aber eigentlich dann doch wieder nichts.

So viel steht zumindest fest, nachdem man die ersten Semester hinter sich hat und langsam beginnt einen Überblick über das Große und Ganze der Keltologie zu bekommen. Man taucht in eine Welt ein, die spannend und begeisternd ist, und man möchte der ganzen Welt erzählen, was für tolle Sachen man lernt!

Leider sieht das der Rest der Welt anders.
"Ja, Kelten sind ja schön und gut, weil [man füge hier eines der gängigen esoterischen Klischees aus 5€ Kelten-Büchern vom Libro ein].
Aber...

WAS MACHT MAN DANN DAMIT???"


"LEBEN!" - antworte ich mittlerweile auf diese Frage, von der Jede/r glaubt, er/sie sei der/die Erste, sie zu stellen.

Natürlich kann ich mit meinem Wissen über keltologische Themen keine Leben retten wie Mediziner. Ich kann kein Anwalt werden wie jemand, der Jura studierte, aber ich kann ein wenig über altirisches und mittelwalisisches Recht schwafeln. Der lieben Wirtschaft sind die Keltologen genauso wurscht wie alle anderen armen Leute, die Orchideenstudien studieren, oder zumindest alles was nicht "Wirtschaft" im Namen enthält.
Und ganz ehrlich, bei 90% aller Studien frage auch ICH mich: Und was macht man dann damit?

Ich bin aber prinzipiell der Meinung, dass es bei den meisten Studiengängen nicht ums MACHEN, sondern ums WISSEN geht. Es geht darum, sich zu BILDEN, und zwar in dem Fach, dass einem am besten gefällt, am meisten interessiert, und womit man die meiste Freude hat. Man erweitert seinen Horizont, bekommt eine völlig neue und andere Sichtweise auf die Welt, wird offener gegenüber anderen Sprachen und Kulturen, sogar der eigene Musikgeschmack und das Essverhalten werden erweitert.
Aber in der heutigen Zeit zählen solche Werte offensichtlich nicht. Geisteswissenschaften werden als unnötig angesehen, Orchideenstudien sterben wie die Fliegen. Was der Wirtschaft oder dem Staat nix bringt, wird abgeschafft.

Mit meiner Meinung 

"Ich studiere für mein Herz und Hirn, nicht für meine Geldbörse!" 

stehe ich weitgehend alleine da (von all meinen Mitstudenten mal abgesehen).

Als Student eines kleinen, unbekannten Studiengangs hat man also zusätzlich zu den normalen Problemen, die während eines Studentenlebens auf einen warten (genauere Ausführungen folgen), noch einen ganzen Sack mehr zu schleppen.
Man muss sich ständig rechtfertigen, allen erklären was und warum man studiert, was man dann damit machen kann, was man dann NICHT damit machen kann, und so weiter.
Man outet sich als Mensch, dem "normale" Studien und "normale" Lebensaussichten egal sind, man ist sogar in manchen Fällen ein faszinierender Querdenker und Gegen-den-Strom-Schwimmer. Manchmal wird man für den Mut bewundert, das Durchhaltevermögen und den eifrigen Enthusiasmus, mit dem man das lernt, was man möchte und liebt.
In den meisten Fällen ist man aber der Spinner, oder die Spinnerin, der/die ein Studium beendet, das keinem was bringt, einen Titel erlangt, der keinen interessiert und nie einen Job bekommen wird, mit dem man mindestens 2000€ im Monat in den Hintern geschoben bekommt.

Man fühlt sich manchmal ein bisschen revolutionär, aber meistens wie ein vom Aussterben bedrohtes Tier im Zoo.


Und plötzlich passiert es: Die Universität stellt Studien ein, und man ist selber betroffen. Für Individuelle Diplomstudien ist im Neuen Bachelor- und Mastersystem kein Platz mehr, das Kontingent ist viel zu knapp berechnet, und kleine Orchideen fallen durchs Sieb. Man geht demonstrieren, schlägt wild um sich, aber alles nützt nichts.
"BRAUCH MA NED.", denkt sich die Universitätswelt.

Auf der einen Seite bewirkt ein solch drastisches Vorgehen bei manchen Studenten einen Motivationsschub. Man ist eine/r der Letzten, die dieses Fach studieren. Fast schon eine Elite. Sie wollen uns nicht, deswegen ziehen wir es jetzt erst recht durch! Wir müssen fertig machen, für etwas stehen. Der Fels in der Brandung oder so.
Leider passiert aber auf der anderen Seite folgendes:
Wer sein Studium aus reiner Liebe zur Sache studiert hat und sich eigentlich keinen Stress machen wollte, wird nun gestresst. Es gibt Zulassungs-Stopps, Deadlines. Man darf plötzlich nur noch 12 Semester für sein Studium brauchen, man darf kein gemütlicher Langzeitstudent mehr sein, der nebenbei vielleicht ein bis zwei Jobs und Familie hat. (Für alle, die hier jetzt gerne "Mindeststudienzeit" und so weiter schreien möchten, dazu äußere ich mich später auch noch).
Für diejenigen, für die das Studium der Herzenssache, ein intelligentes Hobby oder Zweit- oder Drittstudium war, wird es zum Beruf. Wem es Spaß gemacht hat zu studieren, und vielleicht wirklich vor hatte in der Keltologie zu bleiben und zu forschen, wird alles vermiest. Aus Freiheit wird Zwang. Der freie, querdenkende Vogel sitzt plötzlich im goldenen Käfig.
Deadline 30.April 2015. Plötzlich drehen alle am Rad, ein Nervenzusammenbruch folgt dem anderen. Nichts funktioniert so wie es sollte, keiner kennt sich aus, von allen Stellen bekommt man andere Informationen. 
Hurra.


Als ich im Wintersemester 2007 blauäugig und mit rosaroter Brille begonnen habe zu studieren, war mir diese Zukunftsprognose natürlich noch nicht bekannt. Doch eigentlich musste man nur sein Buch "Bausteine zum Studium der Keltologie" aufschlagen und das Vorwort lesen. Bereits 2005 sagte man man ein "Wegrationalisieren" voraus. Wegen der "ängstlichen und engstirnigen Universitätsverwaltung, die nur das gelten lassen will, was man verkaufen kann und alles andere einsparen möchte (‘Geiz ist geil!’)" (vgl. Birkhan, 2005 : 8-9).


Shrew you!

Erzblume.

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